08.03.2018

Nur noch einen letzten Schuss

golftime
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„Fang an Golf zu spielen“, hat mir mal jemand geraten. „Golf ist Balsam für die Seele, schärft den Geist und trainiert den Körper.“


Von Götz Schmiedehausen

Die schicksalhafte Begegnung mit dem begeisterten Golfer, der mir seinen grünen Floh ins Ohr gesetzt hat, erscheint mir rückblickend wie der Erstkontakt zu einem Crack-Dealer. Heute denke, lebe und atme ich Golf – 24 Stunden am Tag. Der erste kritische Blick nach dem Aufstehen überprüft nicht den Aggregatszustand meines Spiegelbildes, sondern geht aus dem Fenster gen Himmel. Schon ein Streifen verheißungsvolles Blau versetzt meinen Körper umgehend in die Art Aufruhr, die sonst nur Junkies vorbehalten sein sollte, die nach den nächsten Schuss gieren. Schlagartig befinde ich mich im Tunnel, er- und entledige hektisch lästige Alltagsstörfelder wie Frau, Kinder, Arbeit und Körperhygiene, da ich in Gedanken schon im Stechschritt zum ersten Abschlag eile.
Auch ein wolkenverhangener Tag schreckt mich nicht ab. Denn die „50 Shades of Grey“ am Himmel können, müssen jedoch nicht zwangsläufig schmerzhaft sein. Sofern der Wetterbericht die Wahrscheinlichkeit für Starkregen mit unter 99 Prozent berechnet, gilt für mich der Grundsatz: „Jedes Risiko birgt auch eine Chance.“ Entweder liege ich tot am Stock oder halbtot mit einer Lungenentzündung im Bett. Doch so wie einem Suchtraucher eine Zigarette nur noch selten wirklich schmeckt, hält sich auch mein Spaß am „Everyday“-Golf eher in Grenzen. Meist fühle ich mich schon am ersten Abschlag mies, vor allem, wenn ich allein spielen muss, da meine Golfkumpel allesamt unabkömmlich sind (wegen Job oder Familie … diese Luschen).
„Erst durch Golf habe ich gelernt, chronisch negativ zu denken“
Schon während der Autofahrt zum Golfclub rechne ich damit, dass genau in dieser Sekunde ein Dutzend Seniorenspieler ein spontanes Zählspielturnier ansetzen. Atemlos hetze ich zur ersten Bahn und sehe wider Erwarten ein freies Feld vor mir. Dann schweift mein Blick rüber zum zweiten Tee. Dort entdecke ich die Busladung AK 65-Spieler, die heute für ihr Liga-4-Spiel trainieren. Zeitgleich kommt die Platzaufsicht angefahren und informiert mich darüber, dass die hinteren neun Bahnen noch zwei Stunden wegen Platzpflegemaßnahmen gesperrt sein werden. Erst durch Golf habe ich gelernt, chronisch negativ zu denken. So gehe ich immer vom Schlimmsten aus und rechne damit, dass die Sieger bei hochdotierten Turnierserien – vor allem bei nicht vorgabewirksamen Formaten – allesamt geschummelt haben, jeder Gastspieler in den Wintermonaten ein notorischer Schwarzspieler ist und Martin Kaymer nie wieder ein Golfturnier gewinnen wird. 
Fahre ich in den Golfurlaub, weiß ich, dass mein Golfgepäck verloren geht, das Wetter schlecht sein wird und die Startzeiten so gebucht wurden, dass spätestens auf Loch 14 die Nacht hereinbricht. Ich weiß auch schon heute, dass ich mein erstes Hole in One während einer Solorunde ohne Zeugen erzielen werde oder mit einem zweiten Schlag nach einem Ausball. Deshalb ziele ich bei einem Par 3 meist schon gar nicht mehr ernsthaft auf die Fahne. Auch wenn das alles nicht stimmt, habe ich im Vorfeld schon so intensiv darüber lamentiert, dass es letztlich keinen Unterscheid mehr macht. Ich versuche derzeit, etwas Abstand vom Golf zu gewinnen. Ich gehe viermal die Woche ins Fitnessstudio, wobei ich ein spezielles Trainingsprogramm namens „Golfathlet“ absolviere, welches bis zu 30 Metern Längengewinn prophezeit.
Zudem fördere ich die Jugend. Meine vierjährige Tochter spielt schon seit einem Jahr Golf und 2018 soll das Training endlich professioneller werden. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn Lexi Thompson war 12, als sie erstmals bei der U.S. Open mitmischen durfte. Da fällt mir ein: Hat Peter Graf eigentlich eine Biografie über seine Arbeit mit Steffi geschrieben? Oder kennt jemand die Telefonnummer von einem dieser koreanischen „Golfpädagogen“, die Rohdiamanten zu Brillanten schleifen können…? 

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