06.07.2018

„Hat mich so ein bisschen gebrainwashed“

golftime
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Marcel Siem über eine Schwung-Findungsphase, die schwierige Erfahrung mit einem Mentaltrainer und, was die Zukunft bringen soll.



Hinter Marcel Siem liegen Jahre des Wandels. Eine Findungsphase mit vielen Veränderungen. Am Schwung, am Personal, am Equipment und an der mentalen Herangehensweise. Auch wegen Verletzungen lief es in dieser Zeit nicht wirklich rund für den Deutschen. Nun ist Siem überzeugt, aufgestellt zu sein für weitere Highlights in seiner Karriere. Zunächst steht allerdings der Abstiegskampf auf der European Tour an.

 
Sie hatten ja schon mehrere Schwungumstellungen, die von außen betrachtet auch relativ radikal wirkten. Ist es typisch für Sie, nach einer gewissen Zeit sehr viel zu hinterfragen?
Marcel Siem: Nein, eigentlich habe ich eher kleinere Umstellungen gehabt. Mit Günter Kessler habe ich am Griff, also meiner Handhaltung gearbeitet. Es war nie radikal. Das radikalste, wenn man es so sagen will, war 2015 beim Trainerwechsel die Zusammenarbeit mit dem Mental-Trainer von Jason Day, der mich so ein bisschen gebrainwashed hat. (lacht…)
 
Inwiefern radikal?
 
Er hat versucht, meine Vergangenheit aufzuarbeiten und wir haben versucht, meine Emotionen besser in den Griff zu kriegen. Naja, Marcel Siem und die Emotionen – das weiß jeder, dass ich mir ab und zu selbst im Weg stand. Ich habe zwar nie negative Gedanken gehabt, ich habe mich aber oft selbst fertig gemacht. Nach dem Motto: ‚Das kannst du doch besser.‘ Ich bin halt ein offener Mensch und habe meine Emotionen nach außen kanalisiert, so habe ich mich der Öffentlichkeit manchmal auf dem Silbertablett serviert. Mit dem Mental-Trainer habe ich dann angefangen, über negative Aspekte zu sprechen, um sie in einem weiteren Schritt dann zu verarbeiten, das war der Ansatz. Ich habe mich darauf eingelassen und leider habe ich mich komplett fallen lassen. 
 
Wieso leider?
 
Der Mental-Trainer, der auch die damalige Nummer 1 der Welt betreut hat, ist bestimmt gut. Heute weiß ich aber: Das ist nicht für jeden etwas. Denn die negativen Gedanken, die ich zuvor nie hatte, kamen jetzt hoch. Auf einmal dachte und spürte ich: ‚Verdammt, da ist links Wasser und rechts ist Out of bounds.‘ Dann hab ich gedacht: ‚Jetzt muss ich komplett professionell arbeiten‘, hab meinen Caddie gefeuert, den Trainer, hab aufgehört zu rauchen, kein Bierchen mehr getrunken. Mit dem neuen Trainer zwei Turniere lief aber erst mal gar nichts zusammen. Dazu kam auch noch die Verletzung. Jetzt bin ich aber wieder auf einem guten Weg.
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Wie sind Sie aktuell mit Ihrem Spiel zufrieden und was brauchst es noch, um wieder richtig erfolgreich zu werden?
 
Jetzt kommt es darauf an, auch in den großen Turnieren gut zu scoren, Top-10- oder Top-20-Platzierungen abzuliefern. Da möchte ich mal unter die besten kommen, anstatt nur bei den kleinen Turnieren. Letztes Jahr hatte ich nur vier Top-10-Platzierungen und ich habe gerade so die Tour-Karte behalten. Aktuell kämpfe ich noch mit meinem Chippen, da bin ich noch nicht wieder da, wo ich sein möchte. Mit dem Putten bin ich auch noch nicht ganz zufrieden, aber das ist Mentalsache. Je wohler ich mich fühle, je mehr Selbstvertrauen ich habe, desto besser läuft es. Die Drives und die Eisen sind dafür ziemlich konstant, aber die Bälle sind leider nicht tot am Stock. Das geht nur, wenn du frei schwingst und auch Spaß bei der Sache hast. 
 
Trainieren Sie zu Hause in Ratingen eigentlich alleine?
 
Alleine zu trainieren, ist nicht so mein Ding. Am liebsten habe ich meinen Caddie oder Trainer dabei. Am allerliebsten gehe ich auf den Platz und übe mit 2-3 Bällen, ich denke, das bringt mehr als nur auf der Range zu kloppen. Aber natürlich hat mein Trainer immer ein Auge drauf zur Kontrolle, es verändert sich ja immer was. Er kontrolliert, ob ich von der Position her zu nah am Ball stehe, ob das Setup stimmt und ähnliches. Ich bin guter Dinge für den Rest der Saison. Die Fitness ist mittlerweile auch – jetzt da ich etwas älter werde – sehr wichtig geworden. Ich merke tatsächlich, wie positiv sich die Fitness auf mein Spiel auswirkt.
 
Wie handhaben Sie das im Turnier? Wie gestalten Sie den Spagat zwischen Kontrolle und Sicherheit sowie volle Attacke?
 
Früher war ich einer, der auf der Tour den Ball mit am weitesten geschlagen hat, da habe ich dann natürlich versucht, den Vorteil auszuspielen. Mittlerweile schlägt das halbe Feld so weit wie ich. Es geht mittlerweile ja nicht mehr alleine um die Carry-Weite. Dank des neuen Equipments und einer Technik, bei der diese Spieler anders an den Ball kommen, laufen deren Bälle ewig. Daher schlage ich jetzt lieber einen sicheren Fade in die Bahn, der landet dann in der Regel bei 260 Meter und rollt dann bis auf 270 Meter. Manchmal nehme ich auch mein 3+ Steelhead von Callaway, da komme ich dann auch auf gute 240 Meter. Mein Lieblingsschläger ist aber der 4+, den kann ich richtig schön drawen. Meine Fairway-Treffer sind dieses Jahr wirklich besser geworden. Eigentlich muss ich jetzt nur noch besser putten. Wenn ich mich wohlfühle, dann gehe ich schon mal auf Attacke, aber ich bin nicht mehr so wie früher, dass ich jedes Mal den Driver ziehe. Aber es gibt so gewisse Löcher, wie zum Beispiel die 16 in München-Eichenried, die werden mich mein Leben lang anziehen. Da ist das Zocker-Gen noch da, da kann ich nicht anders. 
 
Wie ist die Zielsetzung für dieses Jahr, die nächsten drei und die nächsten fünf Jahre?
 
Insgesamt möchte ich wieder ein Turnier gewinnen, um den Druck wegzukriegen. Letztes Jahr war schon sehr stressig. Am liebsten würde ich noch zwei bis drei Jahre auf der PGA Tour spielen. Aber nur, wenn ich sicher unter den Top 50 in der Weltrangliste bin. So einen Harakiri-Versuch wie 2015 – auch wenn ich ihn nicht bereue – würde ich heute nicht mehr machen. Natürlich auch wegen meinen Kindern. Die sind vier und sieben Jahre alt, da kann man nicht einfach mal fünf oder mehr Wochen in die USA abhauen. Nur wenn ich drüben feste Events spielen könnte bzw. eine Karte habe, würde ich es tun. Ich liebe Florida, wenn wir dahin als Familie umziehen könnten, wäre das mein Traum. Meine Frau ist ja Kanadierin, die fühlt sich in den USA sehr wohl, mittlerweile haben wir drüben auch schon viele Kontakte. Hier fühle ich mich schon auch zuhause und habe meinen Freundeskreis. Aber sechs Monate im Jahr nach Florida, das könnten wir uns durchaus vorstellen.

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