27.10.2016

Legasthenie mit Hand und Fuß

golftime
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»Ich hasse diese ›Gefühlsputter‹. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was ich alles ver­anstalten muss, bis ich es mir zutraue, einen Ball von A nach B zu rollen?«
Ich hasse diese Typen, die auf einem Grün, dessen Oberfläche heftigere Wellen wirft als die Nordsee bei Starkwind, ohne lange zu fackeln und „nach Gefühl“ aus jeder beliebigen Entfernung erfolgreich putten können. 
Nichts bringt mich so effektiv zur Weißglut. Nicht der Spargeltarzan mit der Kassengestellbrille und dem chronischen Haltungsschaden, der jedoch imstande ist, einen schnurgeraden 300 Meter Drive nach dem anderen rauszuballern. Auch nicht diese Rentner, die eine flusskieselharte Billigmurmel mit einem ihrer unzähligen Holzschläger vor sich hertreiben, bis sie sich gerade eben so in Rufweite des Grüns befinden, um den Ball dann mit ihrem Chipper tot ans Loch zu löffeln. Bei der Siegerehrung spüre ich in meinem Rücken immer ihre selbstzufriedenen Blicke, wenn sie in der Bruttowertung wieder einmal vor mir stehen, obwohl ich sie an jedem Abschlag um wenigstens hundert Meter kurz gelassen habe. 
Jahrzehntelanges Studium
Nach einem jahrzehntelangen Studium unzähliger Fachbücher verfüge ich heute über ein profundes (theoretisches) Wissen um die biomechanischen Feinheiten des Schwungs, zudem habe ich mich intensiv mit jedwedem Aspekt des Golfspiels befasst, der auch nur ansatzweise interessant sein könnte. Heute könnte ich aus dem Stegreif über allerlei aufregende Themen referieren, darunter so beliebte Klassiker wie „150 essenzielle Checklistenpunkte vor dem Durchschwung“, „Der goldene Karpfen – warum ein geöffneter Mund und ein entspannter Kiefer fünf Prozent mehr Weite bedeuten können“, „Die geheime Kunst des Dimple-Zählens“ oder auch „Warum Plastik-Tees beim Verwenden von genoppten Golfschuhen im Grunde total nutzlos sind“.
Doch ich komme ums Verrecken nicht dahinter, wie jemand über zehn Meter, fünf Breaks und zwei Grünterrassen „nach Gefühl“ erfolgreich putten kann. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was ich alles veranstalten muss, bis ich es mir zutraue, einen Ball von A nach B zu rollen? 
38 Putts pro Runde
Zuerst betrachte ich die Puttlinie aus der Perspektive des Balls und anschließend aus der des Lochs. Dabei schreite ich entlang des potenziellen Rollweges und erspüre mit meinen Füßen die Graswuchsrichtung sowie die vorhandenen Breaks. Diese Faktoren rechne ich in Zahlenwerte um, die ich auf einer standardisierte Fingerskala von 1 bis 5 einordne. Dann halte ich die entsprechende Fingeranzahl so vor mein linkes Auge, dass der dem Break zugewandte Finger genau die Mitte des Lochs verdeckt. Der gegenüberliegende Finger markiert den Zielpunkt. Anschließend richte ich die Ziellinie des Balls, die ich mithilfe eines schwarzen Edding-Stiftes der Stärke 3 (nehmen Sie um Gottes willen nie 2 oder 4!) und einer Schablone aufgemalt habe, auf diesen gedachten Punkt aus. Wichtig: Nur bei einer ausführlichen Rundum-Betrachtung kann man annähernd sicher sein, dass sich die Ziellinie wirklich auf der Null-Grad-Ebene befindet und der Ball nicht etwa leicht angekippt ist.
Erst dann greife ich zum Putter und verifiziere mit einem prüfenden Blick über den Schaft, den ich mit zwei Fingern halte und wie ein Lot auspendeln lasse, ob die Anordnung stimmt. Falls nicht, fange ich noch einmal von vorne an. Erst wenn alles passt, richte ich meine Füße an der Ziellinie  aus, wobei die Fußstandbreite in einem exakt bemessenen Verhältnis zur abgeschrittenen Ball-Loch-Distanz steht. Nach nur drei bis vier Probeschwüngen spreche ich den Ball final an und dann geht es auch schon los. Aktuell benötige ich etwa 38 Putts pro Runde, die durchschnittlich sechs Stunden dauert. Warum das so ist, weiß ich nicht. 
Gefühlsputter
Bei einer meiner letzten Runden habe ich wieder so einen „Gefühlsputter“ im Flight gehabt. An meinem Stolz würgend, habe ich ihn gefragt, wie er denn gelernt habe, so zu putten. „Keine Ahnung“, bekam ich als Antwort. „Ich stelle einfach den Zielcomputer aus. Wie Luke Skywalker beim Anflug auf den Todesstern.“ Dann hat er fröhlich gelacht und keine fünf Sekunden später aus fünf Metern Distanz zum Birdie eingelocht. Ich gratulierte ihm herzlich, doch im Stillen habe ich ihm natürlich die Pest an den Hals gewünscht …
Götz Schmiedehausen, Autor des essenziellen Leitfadens durch die Welt des Golfwahnsinns in Buchform: „Golf oder gar nichts!“. Weiß mehr über Golf, als ihm (und seiner Umwelt) gut tut. Besondere Abneigung hegt er gegen Spieler wie bspw. Dustin Johnson, die ihren Kopf komplett ausschalten und dadurch die Lichter ausschießen können. 
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