Fünf Mal in Folge gewann Europa sein Heimspiel. In diesem Jahr ist der Ausgang offen wie selten zuvor. Das erwartet uns in Paris.
Sollten Sie auch nur ein rudimentäres Interesse am Golfsport hegen, dürfen Sie diesen Ryder Cup auf keinen Fall verpassen. Nicht nur, weil der alle zwei Jahre ausgetragene Kontinentalvergleich traditionell ein Maximum an Spannung und Unterhaltung bietet. Oder weil der Ryder Cup vor den Toren der Stadt der Liebe auf einem der interessantesten Golfplätze der Welt ausgetragen wird.
Nein, in diesem Jahr stehen sich zudem zwei völlig gleichwertige Teams mit Kapitänen gegenüber, die aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse und Lehren gezogen haben wollen. Selbst in einem von Donald Trump regierten Amerika, in dem Selbstüberschätzung, Großmäuligkeit und Muskelspiele zum neuen politischen Alltag gehören, scheint man nach den vielen schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit allmählich zu begreifen, dass ein Sieg keine Selbstverständlichkeit, sondern nur das Ergebnis harter Arbeit sein kann.
Immerhin hatten die Roten in der alten Welt seit 1993 nichts mehr zu feiern. Und in Europa dürfte bei Kapitän Thomas Bjørn die Erkenntnis aus der Niederlage von 2016 gereift sein, dass es bei der Auswahl einer Mannschaft für persönliche Vorlieben keinen Platz geben darf.
Mit dem Dänen Bjørn und dem Amerikaner Furyk stehen sich zwei erfahrene Ryder Cup-Veteranen gegenüber
Anders als bei so vielen anderen Sportarten bedeutet ein Ryder Cup auch immer einen Neustart. Denn vor jeden Wettkampf wird ein neuer Kapitän berufen, der zwei Jahre Zeit hat, dem Team seinen individuellen Stempel aufzudrücken. Mit dem Dänen Thomas Bjørn und dem Amerikaner Jim Furyk stehen sich zwei durch und durch erfahrene Ryder Cup-Veteranen gegenüber. Bjørn gehörte zwar nur dreimal zum aktiven Team, doch musste er nie eine Niederlage erleben. Furyk hingegen vertrat neunmal die Farben seines Landes, doch nur zweimal war dies auch eine positive Erfahrung.
Team Europa mit Casey, Fleetwood, Garcia, Hatton, McIlroy, Molinari, Noren, Olesen, Poulter, Rahm, Rose und Stenson
Seit einem Vorfall beim Ryder Cup 2006 konnte man bei Thomas Bjørn davon ausgehen, dass er seine vier Wild Cards (die Spieler, die ein Kapitän nach eigenem Ermessen ins Team berufen darf) ausschließlich von Leistung und nicht von persönlichen Vorlieben abhängig machen würde. Vor zwölf Jahren erfuhr Bjørn aus dem Fernsehen, dass Kapitän Ian Woosnam Lee Westwood die letzte Wild Card zugeschanzt hatte, der fast 20 Weltranglistenpositionen hinter dem Dänen gelistet wurde. Es folgte eine wütende Abrechnung, in der Bjørn kein Blatt vor den Mund nahm, Woosnam die Freundschaft kündigte und schwor, nicht eine Sekunde der Ryder Cup-Übertragung zu verfolgen. Kurz darauf entschuldigte er sich jedoch für seinen emotionalen Gefühlsausbruch.
2006 gewann Europa auch ohne den Dänen souverän, doch beim Ryder Cup 2016 demonstrierte Bjørns direkter Amtsvorgänger anschaulich, was passieren kann, wenn nicht der beste Spieler, sondern der beste Kumpel den Vorzug erhält. Kapitän Darren Clarke schenkte seinem guten Freund Lee Westwood trotz Karrieretief eine Wild Card und zeigte dem auf der PGA Tour groß aufspielenden Schotten Russell Knox die kalte Schulter.
Westwood verlor jedes seiner Matches und Europa den ersten Ryder Cup seit 2008. In diesem Jahr scheint es glücklicherweise so, als wäre Thomas Bjørn der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt. Nie zuvor verfügte Europa über so viele Spieler, die sich in glänzender Form präsentieren.
Vier Wild Cards für Casey, Poulter, Garcia und Stenson
Mit Paul Casey und Ian Poulter bekamen zwei alte Haudegen eine Wild Card. Beide präsentieren sich seit geraumer Zeit in sehr guter Form, jeder gewann in diesem Jahr ein PGA Tour-Event, zudem verfügen sie über reichlich Ryder Cup-Erfahrung. Logisch, dass Bjørn auf keinen der beiden Engländer verzichten will. Auch Bjørns Landsmann, Thorbjørn Olesen, mischte noch lange mit. Genau wie der Schotte Russell Knox. Die Pole-Position im Rennen um die vierte Wild Card belegte Mitte August der Spanier Rafael Cabrera-Bello, der mit einem geteilten zehnten Rang bei der PGA Championship seinen Anspruch unterstrich, erneut beim Kontinentalvergleich dabei sein zu wollen.
Allerdings entschied sich der europäische Captain für Erfahrung und damit für die beiden Ryder Cup-Veteranen Henrik Stenson und Sergio García. Auf die „Causa García“ angesprochen, sagte Bjørn nach der PGA Championship (bei der García wie bei allen Majors 2018 den Cut verpasste):
„Er ist ein Weltklasse-Golfer und hat noch ein paar Wochen Zeit, um etwas zu erreichen. Wir wissen alle, dass er zu den Spielern gehört, die innerhalb einer Woche oder zwei wieder zur Höchstform auflaufen können.“
Die Zusammenstellung des Teams ist ein Teil seines Amtes, doch was wirklich zählt, ist die Umsetzung der richtigen Strategie vor Ort. Glücklicherweise diente Bjørn als aktiver Ryder Cup-Spieler ausschließlich unter siegreichen Feldherren. Zudem erlebte er als Vize-Kapitän von Bernhard Langer (’04), Colin Montgomerie (’10) und José María Olazábal (’12) drei taktische Glanzstücke der Ryder Cup-Geschichte hautnah, während er 2016 vorgeführt bekam, welche Kardinalfehler man als Kapitän unbedingt vermeiden sollte.
Fachleute sprechen vom stärksten europäischen Team aller Zeiten
Was die Stärke seiner Mannschaft angeht, kann Bjørn aus dem Vollen schöpfen, denn Fachleute sprechen vom stärksten europäischen Team aller Zeiten. Mit Justin Rose, Rory McIlroy und Ian Poulter verfügt der Däne über drei mit allen Wassern gewaschene Ryder Cup-Legenden, während seine für das Team gesetzten Rookies Tommy Fleetwood, Tyrrell Hatton, Jon Rahm und Alex Noren während des Ryder Cup-Qualifikationszeitraums herausragend aufgespielt haben. Francesco Molinari gewann auf der European Tour (BMW PGA Championship), sein erstes Turnier auf der PGA Tour (Quicken Loans National) und sein erstes Major (Open Championship). Innerhalb von nur acht Wochen kletterte er von Rang 33 auf Position sechs der Welt.
Und so werden das enge Bonding der Spieler sowie die mit seiner Mannschaft abgestimmten „Pods“ (Gruppen von max. vier Spielern, die untereinander perfekt harmonieren) Bjørns Hauptaugenmerk sein. Neben dem starken Team verfügt Thomas Bjørn als Gastgeber über eine weitere Trumpfkarte, obliegt es doch ihm, die Spielwiese in Paris nach seinem Gutdünken zu präparieren. Dabei kann er auf die Erfahrungswerte zahlreicher Open de France-Turniere zurückgreifen, die seit vielen Jahren auf dem Ryder Cup-Platz ausgetragen werden.
Zudem nutzten viele seiner Spieler das diesjährige Turnier in Frankreich, um den Platz ausgiebig zu testen. Dass mit Alex Noren einer seiner Mannen gewinnen konnte, wird Bjørn wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Vom US-Team nutzte übrigens nur Justin Thomas die Gelegenheit, die Ryder Cup-Bühne unter Wettbewerbsbedingungen zu testen.
Team USA mit DeChambeau, Finau, Fowler, Johnson, Koepka, Mickelson, Reed, Simpson, Spieth, Thomas, Watson und Woods
Anders als für das europäische Team endete der Qualifikationszeitraum für die Top 8 in den USA nach der PGA Championship. Mit Doppel-Major-Sieger Brooks Koepka, dem damaligen Weltranglisten-Ersten Dustin Johnson, Super-Rookie Justin Thomas, dem Masters-Champion Patrick Reed, dem in dieser Saison schon dreimal erfolgreichen Bubba Watson, Players Championship-Gewinner Webb Simpson sowie den in dieser Saison etwas schwächelnden Jordan Spieth und Rickie Fowler besitzt Jim Furyk eine schlagkräftige und kampferprobte Truppe. Immerhin gehörten sechs der acht Spieler zum siegreichen Team von 2016.
Auch die Wild Card-Picks waren für Furyk kein allzu großes Problem. Denn laut Statistik, die ausschließlich Ryder Cup-Punkte berücksichtigt, die 2018 verdient wurden, hatten sich Bryson DeChambeau und Tiger Woods direkt qualifiziert, Phil Mickelson kam auf den neunten Platz, gefolgt von Tony Finau. Genau diese vier bekamen die Wild Cards für Team USA.
Fowler und Spieth hingegen hätten die Direktqualifikation verpasst. DeChambeau hingegen gewann das Memorial, hat in diesem Jahr schon einige Top-Platzierung vorzuweisen und verpasste zudem kaum Cuts. Tony Finau spielt konstant gutes Golf. Der 28-Jährige kann in dieser Saison bereits elf Top-Ten-Resultate vorweisen. „Er erfüllt viele Kriterien und machte es unmöglich, ihn nicht zu nominieren“, sagte Furyk, der selbst zwischen 1997 und 2014 fester Bestandteil des amerikanischen Aufgebots war.
„Ich wollte ein Team, das die Atmosphäre genießt, und wenn ich mir diese acht Typen anschaue“ sagte Furyk vor dem Wild Card-Pick, „dann bin ich mir sicher, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind“.
„Ich bin sehr glücklich über dieses Aufgebot. Ich suchte nach Spielern, die ein großartiges Jahr gehabt oder die gerade eine unglaubliche Form haben. Des Weiteren schaue ich auf potenzielle Paarungen, wie Spieler miteinander harmonieren könnten. Und ich schaue natürlich auch auf den Platz. Le Golf National ist ein herausragender Kurs, aber er liegt einem gewissen Spielertyp. Mein Job ist es, das Team um die bestmöglichen Spieler zu ergänzen.“
Paris kein Eldorado für Longhitter
Den Amerikanern ist klar, dass sich dieser Platz von Grund auf anders spielen wird als der des Hazeltine National Golf Club vor zwei Jahren. Damals gab es breite Landezonen, Rough, das seinen Namen kaum verdiente und mittig gesteckte Fahnen. „Ein Paradies für Longhitter“, analysierte Europas Vize-Kapitän Robert Karlsson, der sich beklagte: „Das Setup war grenzwertig. Eigentlich gibt es eine Vereinbarung, dass es ähnlich wie bei Plätzen auf den Touren sein soll.“
Fakt ist: Vor den Toren von Paris wird es kein Paradies für Longhitter geben. Der Driver wird des Öfteren in der Tasche stecken bleiben. Das könnte wiederum für Tiger Woods sprechen, der schon bei der Open in Carnoustie nur in Ausnahmefällen zum Holz 1 griff. „Sechster bei der Open, Zweiter bei der PGA Championship – es ist großartig, dass er wieder so gut spielt.“
Dieses U.S.-Team könnte stärker kaum sein. Ein Schwachpunkt ist kaum auszumachen. Webb Simpson, Achter der Pounts List, und lange Zeit Mitglied der Kategorie „One Hit Wonder“, hat bewiesen, dass er nach seinem U.S.-Open-Sieg von 2012 zu weiteren Heldentaten bereit ist. Simpson zeigte seine Klasse mit einem Sieg bei der Players Championship auf einem Kurs, der dem Platz des Le Golf National sehr ähnelt.
Mit Justin Thomas steht der wohl stärkste Rookie aller Zeiten im Aufgebot. Alle anderen sind erprobt in diesem eigenwilligen Wettkampf. Bis auf Koepka und Thomas kennen die Cracks auch das Gefühl, auf europäischem Boden zu spielen. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Der Teamgeist. Furyk betonte, bei der Nominierung auch auf soziale Aspekte geachtet zu haben.
Die Harmonie im Team wird entscheidend sein beim Duell vor den Toren der Stadt der Liebe.
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