Er lässt Bubba Watson oder Rory McIlroy um mehr als 100 Meter kurz, ist der amtierende Long Drive World Champion und Weltrekordhalter. Im Interview mit GOLF TIME gewährt der Engländer Joe Miller Einblicke in die Welt eines geborenen Weitenmonsters.
Schon allein das Geräusch klingt martialisch. Wenn Joe Miller den Driver schwingt, hört sich das an, als würde ein Riese mit einer Bahnschiene auf eine Eisenkugel dreschen. Seit seinem ersten Weltmeistertitel 2010 ist der 32-jährige Engländer eine feste Größe in der Weltspitze der Weitenjäger. Im Guinness Buch wird sein Schlag über 512 Meter als längster, offiziell gemessener Long Drive geführt. 2016 erkämpfte er sich nach 2010 zum zweiten Mal den Gürtel des World Long Drive Champions. Für den erneuten Titelgewinn benötigte Miller „nur“ 390 Meter.
GOLF TIME: Ab welchem Alter konntest du den Ball weiter schlagen als andere Golfer?
Joe Miller: Schon mit vier Jahren, als ich gerade mit Golf angefangen hatte. Im Verhältnis zu den anderen Kindern meines Alters flog mein Ball meilenweit. Mit elf oder zwölf Jahren konnte ich weiter schlagen als die meisten Erwachsenen. Zwei Jahre später bekam ich einen ordentlichen Wachstumsschub und ließ auch meinen Vater kurz, der bis dahin der unangefochtene Longhitter in unserem Golfclub war.
Wie verlief dein Einstieg in die Long-Drive-Szene?
Joe Miller: 2003 hing in unserem Golfclub ein Flugblatt aus, in dem über ein Qualifikationsturnier zur Weltmeisterschaft im Long Drive informiert wurde. Mein Vater hat es entdeckt und mich sofort angemeldet. 2004 habe ich mir meinen ersten speziellen Long-Drive-Driver zugelegt, ein Cobra-Modell mit 3 Grad Loft. Ein Jahr später wurde ich Europameister und stellte mit 433 Metern einen neuen Europarekord auf. Ab diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, den Sport wirklich ernst zu nehmen.
2005 konnte ich mich das erste Mal für die World Long Drive Championship in Las Vegas qualifizieren. Seither war ich immer dabei und wurde jedes Jahr besser. 2008 belegte ich den achten Platz und 2009 dachte ich schon, es könnte mein Jahr werden. Aber dann wurde ich krank und lag zwei Wochen auf der Nase. Auf 2010 habe ich mich deshalb umso intensiver vorbereitet und gewann meinen ersten Weltmeistertitel. Dieser Sieg sorgte dafür, dass ich den Sport als Vollzeitprofi ausüben konnte, denn nun war ich für die Sponsoren interessant geworden und wurde auch zu den gutbezahlten Schauwettkämpfen eingeladen.
Trotzdem musstest du sechs Jahre bis zum zweiten Titel warten. Warum?
Joe Miller: Nachdem ich 2011 und 2012 jeweils erst im Halbfinale geschlagen werden konnte und Platz 3 belegen konnte, wurde ich immer als Favorit auf den Titel gehandelt. In Europa bspw. blieb ich zwischen 2012 und 2014 ungeschlagen und habe bei 19 von 19 Events gewonnen. 2015 kehrte ich mit diesem Rekord in der Tasche zurück nach Las Vegas. Einen Monat vor der WM trat ich bei einem Turnier gegen die amerikanischen Top-Hitter an und gewann deutlich.
Deshalb war es natürlich besonders bitter, als ich bei der WM früh gegen den späteren Champion Tim Burke ausschied, der bei deutlich besseren äußeren Bedingungen schlagen konnte als ich. Danach war ich ziemlich frustriert und musste mich mental gewaltig zusammenreißen, als es darum ging, ein weiteres Jahr auf die nächste World Championship hinzuarbeiten.
Was war 2016 anders als im Jahr zuvor?
Joe Miller: Ich befand mich auf dem absoluten Höhepunkt meiner Leistungsfähigkeit, hatte gute äußere Bedingungen und besaß absoluten Siegeswillen. Deshalb gewann ich meine Matches mit Längenunterschieden von 25 bis knapp 70 Metern. Normalerweise entscheiden nur wenige Meter, manchmal nur Zentimeter über Sieg oder Niederlage. So deutlich hat noch keiner vor mir eine World Long Drive Championship gewonnen.
Das Publikum in den USA wird es nicht unbedingt erfreut haben, dass ein Engländer ihre Stars aufmischt.
Joe Miller: Schon richtig, 99 Prozent der Zuschauer kommen aus den Staaten und die Leute klatschen natürlich für ihre Leute. Doch die Publikumsreaktion am Finaltag erinnerte mich stark an die Szene aus dem Film „Rocky IV“, als die Russen erst alle gegen Rocky waren, am Ende jedoch für den Champion gejubelt haben.
Der Schauspieler Dwayne „The Rock“ Johnson hat auf Twitter behauptet, er könne einen Golfball 450 Meter weit schlagen. Wie war deine Reaktion?
Joe Miller: Als ich das gehört habe, musste ich schon sehr lachen. Viele Leute haben das ernsthaft geglaubt. Doch für uns Long-Drive-Athleten war dieser Tweet gar nicht so schlecht, denn unser Sport kam dadurch ins Gespräch. Doch mal ganz ehrlich, The Rock hätte keine Chance. Ich habe Schläge von ihm gesehen und sein Schwung ist furchtbar. Zugegeben, mit seiner Statur und seinen Muskeln könnte er verhältnismäßig lange Bälle schlagen, aber ich denke nicht, dass ich mir Sorgen machen muss. Ich würde eine Herausforderung jederzeit annehmen.
Wie weit würde ein Durchschnittsgolfer den Ball schlagen, der über deinen Körper mit all den speziell auf Long Drive trainierten Muskeln verfügen würde?
Joe Miller: Mit Sicherheit sehr viel weiter, als er es jemals zuvor getan hätte, das ist klar. Doch letztlich muss auch die richtige genetische Veranlagung vorhanden sein. Es ist nicht allein der Körper, es ist auch die Fähigkeit, die Bewegungsabfolge mit maximaler Effizienz zu einem funktionellen Schwung zusammensetzen zu können. Man kann so groß und muskulös sein wie man will, wenn dieses Puzzlestück nicht vorhanden ist, wird man im Long Drive nie etwas erreichen.
Wie viel Zeit verbringst du in der Muckibude?
Joe Miller: Ich mache jeden Tag, sieben Tage die Woche ca. zwei Stunden intensives Workout. Mein Programm besteht aus schnellen, kraftvollen Übungen, viele Sätze, viel Gewicht. In meinem Sport dreht sich alles um Kraft. Entsprechend gehaltvoll ist auch meine Ernährung. Ich esse achtmal am Tag sehr proteinhaltige Nahrung. Da kommen leicht 8.000 bis 10.000 Kalorien zusammen.
Wie unterscheidet sich deine Ausrüstung von dem Driver eines Tourspielers wie bspw. Dustin Johnson?
Joe Miller: Tourspieler benutzen meist Driver, die ca. acht bis neun Grad Loft aufweisen. Amateure benötigen eher zehn bis zwölf Grad. Meine Driver hingegen haben nur ein bis zwei Grad Loft, das ist ein Hauptunterschied. Dann ist mein Schlägerschaft etwa 1,22 Meter lang mit einem XXX-Stiff-Flex. Der normale Driver bei Profis oder Amateuren ist meist zehn Zentimeter kürzer und deutlich flexibler. Erst wenn man Schwunggeschwindigkeit von 230 bis 240 km/h generieren kann, mutiert mein Driver zur Waffe. Doch Tourspieler wie Dustin Johnson, die knapp 200 km/h erreichen, würden mit meinem Driver sogar deutlich kürzer bleiben als mit ihren Standardschlägern. Der Ball würde viel zu flach wegfliegen.
Wenn du normales Golf spielst, benutzt du dann normales Equipment?
Joe Miller: Ja klar, in meiner Golftasche stecken normale Schläger, wenn auch mit relativ steifen Schäften. Golf ist ein ganz anderer Sport als Long Driving. Es ist im Grunde auch ein anderer Schwung. Mit meinem normalen Driver erreiche ich ca. 330 bis 350 Meter, doch auf einer Golfrunde, auf der ich einen guten Score spielen will, bleibt der Driver ohnehin meist stecken. Dann nehme ein langes Eisen. Mit dem Eisen 2 erreiche ich relativ sicher 270 Meter. Wenn der Driver rauskommt, dann nur, wenn rechts und links viel Platz ist.
Warum bist du kein sehr guter PGA Tour- Spieler, wenn du an einem Loch ein Eisen nehmen kannst, das Rory McIlroy oder Bubba Watson mit dem Driver spielen müssen?
Joe Miller: Nur, weil man den Ball über 350 Meter weit schlagen kann, heißt das nicht zwingend, dass man auch der beste Golfer ist. Ich glaube auch nicht, dass jemand, der auf jedem Grün nur einen Putt braucht, zwangsläufig Weltklasse wäre. Denn zuvor muss man das Grün erst einmal erreichen. Ich spiele Handicap –4, das ist gut, aber weit weg von Weltklasse. Wenn ich auf Sicherheit spiele, komme ich zwar mit dem Eisen an die Positionen, an denen die Weltspitze mit dem Holz zu finden ist. Doch anschließend muss auch ich die Folgeschläge spielen und ich bin weder im Kurzspiel noch im Putten Weltklasse. Nur beim Texas Scramble, das garantiere ich, gewinnt in 99,9 Prozent der Fälle die Gruppe, in der ein Long-Drive-Athlet mitmischt. Denn bei den meisten Par-5-Löchern liege ich nach dem Abschlag um die 100 Meter vom Grünanfang entfernt.
Zollen die Golfstars dir für deine Leistungen Respekt oder bist du für sie eine Freakshow?
Joe Miller: Jeder Tourspieler, den ich bislang getroffen habe, war restlos begeistert. Denn er kann mehr als jeder andere Golfer unsere sportliche Leistung würdigen. Diese Jungs lieben uns, was vielleicht anders wäre, wenn ich bei einer Open Championship antreten und jeden Drive 370 Meter das Fairway runterknallen würde. Aber die Gefahr besteht derzeit noch nicht.
Steckbrief Joe Miller
Geb.: 18. November 1984 in London
Größe: 1,93 Meter
Gewicht: 125 Kilo
Spitzname: The Total Package
Driver: Callaway XR, 2° Loft, Fujikura XXX-Schaft
Erfolge: REMAX World Long Drive Champion 2010, 2012/ Diverse European Championships
Das Interview führte Götz Schmiedehausen.
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