14.01.2017

Kevin Na, der (Zu-)Vieldenker

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Kevin Na ist einer der erfolgreichsten Golfer auf der PGA Tour. Die aktuelle Nummer 23 der Welt verdiente seit 2001 mehr als 20 Millionen US-Dollar, liegt damit auf Platz 49 der ewigen Geldrangliste. Und doch fehlt ihm etwas: Siege. Er gewann in all den Jahren erst ein Turnier. Der heute 32-jährige US-Bürger koreanischer Herkunft ist einer der Profis auf der weltgrößten Golftour, der nahezu nie im Fokus der breiten Öffentlichkeit steht. Das liegt vor allem daran, dass vor den TV-Kameras der Golf-Medien jene Spieler in Szene gesetzt werden, die Turniere gewinnen. Zu denen zählt Kevin Na nicht – obwohl er seit vielen Jahren stets in den vorderen Regionen des Leaderboards zu finden ist. Woran es liegt, dass ein solch hochtalentierter Spieler den Durchbruch auch nach 15 Jahren auf der PGA Tour noch nicht geschafft hat, versuchte Alan Shipnuck, ein renommierter US-Golfjournalist, herauszufinden. Er sprach mit Kevin Na über seine bisherige Karriere und beleuchtete dabei vor allem die Psyche des Profis, die eine gewichtige Rolle in seinem Golfspiel einnimmt. Na macht sich Gedanken, viele Gedanken, zu viele Gedanken, wenn es ums Golfspielen geht. Mitunter macht der gebürtige Koreaner 15 Probeschwünge, geht noch einmal zurück hinter den Ball, checkt seine Linie, spricht den Ball wieder an, bevor er seinen Schläger hinter den Ball setzt. Ein Grund, weshalb ihn so mancher Kollege für einen Sonderling hält und veralbert. Doch damit nicht genug, Kevin Na musste in seiner nunmehr fast 15-jährigen PGA Tour-Karriere auch auf dem Platz einiges wegstecken. So zum Beispiel eine 16-Schläge-Schmach auf dem Par 4-Loch Nummer 9 bei der Valero Texas Open 2011. Bis heute hält er damit den unrühmlichen Rekord für die meisten Schläge auf einem Par 4-Loch in einem PGA Tour-Turnier. Dass es dazu kam, fing mit einem missglückten Drive an, der rechts vom relativ engen Fairway des TPC San Antonio im Wald landete. Na spielte einen provisorischen Ball, den er nach links verzog. So weit, so schlecht. Nach intensiver Suche im Wald findet Na seinen ersten Ball schließlich, muss ihn jedoch für unspielbar erklären. Weil auch innerhalb von einer Schlägerlänge keine spielbare Stelle zu finden ist, tritt Na den „Weg der Schande“ zurück zur Teebox an. Dort angekommen, sieht er sich seinen Kollegen Geoff Ogilvy, Adam Scott (mit Caddie Steve Williams) und dem zweimaligen Major-Champion Ángel Cabrera gegenüber, der zu den wohl angsteinflößendsten Spielern auf der Tour zählt. Na teet auf, schlägt ab und verzieht. Wieder landet sein Ball im Wald rechts des Fairways. Der damals 27-Jährige fragt seinen Caddie, Kenny Harms, nach einem weiteren Ball. Als Harms einen neuen Ball herausholt schnappt sich Ángel Cabrera die Kugel und schießt sie mit dem Fuß aus der Teebox heraus. „Ich mag Ángel und komme mit ihm zurecht, aber das war komisch. Ich kann nicht sagen, ob es Spaß war oder er angep**** war“, sagt Kenny Harms zu der Szene. Gemeinsam mit seinem Spieler geht Harms also erneut auf Ballsuche. Tatsächlich finden sie wieder den ersten Ball, der rechts im Wald gelandet war. Abermals liegt er so schlecht, zwischen Ästen versteckt, dass Harms Na dazu rät, auch diesen Ball für unspielbar zu erklären und nochmals zur Teebox zurückzugehen. Na erwidert: „Auf gar keinen Fall werde ich nochmal dorthin zurück gehen.“ Cabreras Geste hat ordentlich Eindruck gemacht. Na versucht sich also an seinem nunmehr bei Schlag Nummer drei liegenden Ball. Nach schier endlosem Gehacke im Wald („Es war definitiv ein Gefühl der Panik, nach dem Motto: ‚Wann wird das hier bloß enden?'“) springt die Kugel mit dem zwölften Schlag letztlich zumindest zurück ins Rough. Zu seiner Überraschung jubeln die Zuschauer Na zu. Er quittiert die aufmunternden Rufe mit einem gequälten Lächeln, als er letztlich mit dem 16. Schlag einlocht. „So betrachtet, war das eines der besten Dinge, die Kevin je passiert sind“, sagt sein Caddie über den golferischen Waldausflug seines Spielers. „Nie zuvor wurde er nach Autogrammen gefragt. Es schien so, als kannten und liebten ihn plötzlich alle Golffans auf der Welt.“ Endlich, mag sich Na gedacht haben. Denn eigentlich war es genau das, was er in den Jahren zuvor vermisste: den Zuspruch des Publikums und der Medien. James Hahn, ebenfalls PGA Tour-Spieler und ein guter Freund Nas, sagt: „Kevin wurde immer sehr missverstanden. Er möchte gemocht werden. Es beflügelt ihn. (…) Er möchte der Good Guy sein.“ Sechs Monate nach seiner 16 feiert Na seinen Durchbruch: Er gewinnt die Justin Timberlake Shriners Hospitals for Children Championship in seiner Wahlheimat Las Vegas. Nach einem Bogey auf der 14 fällt er zunächst in die geteilte Führung zurück. Dann zündet er den Turbo: „Mein einziger Gedanke für die letzten vier Löcher war, aggressiv zu spielen. Keine Angst. Keine Zweifel.“ Birdies auf den Löchern 15, 16 und 17 sind der Beweis, dass er auch nervenaufreibende Situationen auf dem Platz bravourös überstehen kann. Durch den Sieg in Las Vegas ist Na für das Tournament of Champions auf Hawaii qualifiziert. Er fühlt sich angekommen. Endlich. Doch es soll ganz schnell wieder anders kommen. Denn obwohl er gut in das Turnier startet, hat er Probleme mit seinem Rückschwung. Es sind Kleinigkeiten, die Na plötzlich aus dem Konzept bringen – und die schlechten Gedanken zurück in seinen Kopf schießen lassen. Er ist blockiert, gehemmt und hadert mit seinem Schwung. Seine Unsicherheit lässt sich unter anderem daran ablesen, dass er seinem Spielpartner Bryce Molder vor der Finalrunde sagt: „Ich werde so schnell es geht, zum Ball hetzen und alles dafür tun, dir nicht im Weg zu sein, aber ich habe Probleme, den Schläger zurück zu schwingen.“ Zur Erinnerung: Na und Molder sind Profigolfer auf der weltbesten Golftour und spielen gerade das Tournament of Champions mit allen Turniersiegern des Vorjahres… Trotz dieser fortan chronischen Unsicherheit beim Rückschwung, spielt Kevin Na 2012 starke Resultate. Top 5-Platzierungen in Phoenix, Pebble Beach und Bay Hill, insgesamt sechs Top 10-Ränge im gesamten Jahr. Immer wieder zeigt sich jedoch das selbe Bild: Auf einige brillante Schläge folgt die schlagartig auftretende Angst, dass etwas nicht richtig läuft. Pause im Rückschwung, Probeschwung, Probeschwung, Probeschwung… „Ich hatte Angst zu Turnieren zu kommen“, sagt Na rückblickend. „Ich hatte einfach Angst, dass ich den Schläger nicht zurückschwingen kann. Ich hatte hart an meinem Schwung gearbeitet und technisch betrachtet war er auch viel besser als zuvor. Aber ich habe darauf nicht wirklich vertraut, er fühlte sich nicht richtig an.“ Nach seiner 79 in Runde 1 bei seiner Rückkehr zur Texas Open in San Antonio beendet er das Turnier vorzeitig. Beim nächsten Event in Charlotte verpasst er den Cut. Das Selbstvertrauen leidet weiter und ist am Tiefpunkt, als Na zur Players Championship anreist. Der mentalen Instabilität zum Trotz spielt der gebürtige Koreaner dort fantastisch auf: eine 67 zum Auftakt, gefolgt von einer 69. Na führt nach zwei Tagen. Spielt er am Donnerstag und Freitag noch unter dem Radar der Medien-Öffentlichkeit, sind die TV-Kameras am Samstag sein ständiger Begleiter. Für (Zu-)Vieldenker Na ist das fatal. Die Unsicherheit kommt rasend schnell zurück in seinen Kopf. Er wedelt den Schläger vor dem Abschlag auf und ab, korrigiert seine Position, wedelt wieder auf und ab. Dann steht er über dem Ball und motzt sich selbst an: „Pull the trigger! C’mon Kevin!“ Anschließend wird er von den Referees auf die Uhr genommen. Die stressvolle Situation übersteht er wie durch ein Wunder ohne Schlagverlust. Er beendet Tag 3 mit einer 68. Doch wirklich zu Ende ist der Tag für ihn noch nicht. Die Pressekonferenz steht für den nun alleinigen Führenden auf dem Plan. Angefixt von Nas offensichtlichen, mentalen Schwierigkeiten, geht es um nichts anderes, als um seine Schwäche. Kein Wort zur Bogey-freien 68, kein Wort zur alleinigen Führung nach drei Runden. Die Fragerunde wird für Na zum Spießrutenlauf – und ist der Anfang eines Turnierfinales zum Vergessen. Denn was Na am Schlusstag auf dem TPC Sawgrass 2012 erlebt, kommt auf der PGA Tour äußerst selten vor. Das Publikum scheint ihm aufgrund seines Seelenstriptease in der Pressekonferenz am Vortag alles andere als wohlgesonnen zu sein. Immer wieder begleiten ihn „Buh“-Rufe wenn er sich vor einem Schlag nochmals neu ausrichtet. Das setzt den labilen Pro derart unter Druck, dass seine Pre-Shot-Routine noch länger dauert. Die „Buh“-Rufe werden lauter. Auf dem 13. Loch, einem Par 3, wird es besonders hämisch. Nachdem Na seinen Abschlag ins Wasser setzt, fangen die Zuschauer an zu singen: „Na na na na, na na na na, hey hey hey, goodbye.“ Und dann folgt auf dem 17. Loch, als Na den Ball anspricht, ein Zwischenruf von den Rängen: „Pull the trigger, Na! Pull the trigger!“ Sein Caddie, Kenny Harms, sagt: „Ich habe ein solches Verhalten in unserem Sport noch niemals zuvor und niemals danach wieder gesehen. Wenn es ein Superstar gewesen wäre, hätten die PGA Tour-Offiziellen nicht zugelassen, dass das passiert. Aber Kevin hatte niemanden, der ihn geschützt hat.“ Nach seiner – angesichts der Umstände respektablen – 76er-Runde, stehen Na die Tränen in den Augen. Sein Spielpartner auf den finalen 18 Löchern, Matt Kuchar, sagt nach dem Gewinn seines bis dato größten Turniers: „Für ihn (Na) tut es mir heute leid.“ Den Rest der Saison konzentriert sich Na nahezu ausschließlich darauf, seine Pre-Shot-Routine zu beschleunigen. Auf den Rat seines Caddies hin, sucht er sich zudem psychologische Hilfe. Doch das zahlt sich für ihn nicht aus: „Es ist alles vorhersehbar. Sie erzählen dir Dinge, die du schon weißt und knöpfen dir dafür 500 Dollar ab. Ich finde besser selbst heraus, was nicht stimmt.“ 2013 startet er so schlecht ins Jahr wie noch nie. Hinzu kommt dann im April die Diagnose „Bandscheibenvorfall“ – das frühzeitige Saisonaus. Na lässt sich operieren und fliegt nach Korea. Er will mit seiner Verwandtschaft und einigen Freunden zusammen sein. Es ist die erste lange Pause vom Golf seit seiner Kindheit. „Es fühlte sich an, als würde ich zehn Jahre verpasste Gespräche nachholen“, beschreibt Na die Zeit mit seinen alten Freunden. „Eine Zeit lang vergaß ich, dass ich Profigolfer bin.“ Als die heutige Nummer 23 der Welt im Herbst 2013 auf die PGA Tour zurückkehrt, ist er gereift. Das zeigt sich schnell auch auf dem Platz: Das Zögern vor dem Schlag ist deutlich weniger geworden, er muss sich auch nicht ständig neu ausrichten. Das Vertrauen in den Schwung ist zurück. In der Saison 2013-14 gelingen Na sechs Top 10-Ergebnis, ein 3. Platz und zwei 2. Plätze. Er streicht 3.153.107 US-Dollar an Preisgeldern ein und steigt auf Position 25 der Golf-Weltrangliste auf. Eine Entwicklung, die auch seinen Kollegen nicht verborgen bleibt. „Er hat sich großartig in die Standards integriert, die auf der Tour gelten. Er muss mit vielen anderen Dingen zurechtkommen, als die meisten von uns. Aber ich denke, er ist ein zäher Spieler, der seinen Job hart und wettkampfgerecht angeht“, sagt Justin Rose über Na. Der positive Aufschwung in Nas Profikarriere setzt sich seither fort. Im vergangenen Jahr gewinnt er zwar abermals kein Turnier, verdient dennoch 2.820.766 US-Dollar Preisgeld und kommt sieben Mal in die Top 10. Diese Saison hat er bislang fünf Turniere gespielt. Seine Bilanz: fünf geschaffte Cuts, ein 3. Platz, zwei 2. Plätze und Schecks in Höhe von 1.496.673 US-Dollar. Die Leistungskurve zeigt also schon früh in diesem Jahr so steil nach oben, wie nie zuvor. Mit Kevin Na ist zu rechnen, und es wäre nicht verwunderlich, wenn der sympathische Vieldenker dieses Jahr seinen zweiten PGA Tour-Titel holt. Weil er eben nicht mehr zu viel denkt. © GOLF TIME Verlag GmbH/ DB

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