Leonie Harm über ihren Erwartungsdruck
Leonie Harm – „Ich war so weit, gar nicht antreten zu wollen“
Offene Worte: Leonie Harm, die beste deutsche Amateurin der Geschichte und gleich im zweiten Profijahr derzeit beste deutsche Golferin auf der Ladies European Tour, spricht mit GOLF TIME über ihren Erwartungsdruck, der ihr als Profisportlerin schwer zugesetzt hat.
Das Interview erschien in der Ausgabe 6/2021 des GOLF TIME Magazins.
Leonie Harm, 23, ist mehrmalige Deutsche Meisterin. Mehrere Amateur-Titel führten zu einem vierten Rang in der Amateur-Weltrangliste – deutscher Rekord. Harm war Mitglied des Team Europe beim Junior Solheim Cup 2015.
Sie wurde als Studentin der Biochemie & Biophysik an der University of Houston zur „American Athletic Conference Female Scholar Athlete of the Year 2018/19“ gewählt. In diesem Jahr sammelte Leonie Harm bislang vier Top-Ten-Platzierungen auf der LET und etablierte sich in der Spitzengruppe der Saisonrangliste.
Leonie Harm, Sie sind kurz vor der Corona-Pandemie ins Profilager gewechselt und haben in diesen besonderen Zeiten sehr gute Ergebnisse gesammelt, zuletzt einen siebten Platz bei der AIG Women’s Open. Sind Sie zufrieden mit Ihrem Start?
Mit den Ergebnissen auf dem Papier bin ich zufrieden, allerdings liegen zwischen den Erfolgen auch schwierige Tage. Beispielsweise habe ich mich Anfang des Jahres wochenlang davor gedrückt, eine Golfrunde zu spielen, aus Angst, das Selbstvertrauen komplett zu verlieren – so weit weg war mein Schwung.
Da gab es nur Range und viel Selbstzweifel, den ich glücklicherweise rechtzeitig vor dem Saisonstart in Südafrika ablegen konnte. Jedoch, jetzt kurz vor der Women’s British Open, war ich wieder so weit, gar nicht antreten zu wollen.
Das hört sich schwerwiegend an. Was war los?
Ich denke, dafür muss ich etwas ausholen. Ich versuche, mich jede Woche auf die verschiedenen Plätze vorzubereiten. Das heißt, in Südafrika, als ich zum Start im Mai Zweite wurde, war der Draw gefragt, bei der U.S. Open der leichte Fade, in Tschechien der Draw, in den Niederlanden weite Kurven. Jedes Mal habe ich mein Spiel angepasst.
Ich wollte immer optimal abliefern und habe dabei meinen Schwung so verändert, dass es irgendwann kein Zurück gab. Ich war zu weit entfernt von meinem natürlichen Schwung. Vor lauter Erwartungsdruck, der sich mit den guten Ergebnissen zu Beginn der Saison eingeschlichen hatte, bin ich in eine Sackgasse geraten.
+++ Passend zum Thema: Harm und Hirmer holen die Titel +++
Was war die Folge?
Mitte Juli habe ich plötzlich so schlecht abgeschlagen, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Ich wünschte, ich würde übertreiben – aber das tue ich nicht. Ich habe plötzlich kein Fairway mehr getroffen. Und wenn, dann war es das Nachbar-Fairway.
Dass es keine ganz schlimmen Scores wurden, lag nur an mehreren Bällen, die von Bäumen im Aus wieder zurück auf die Bahn sprangen oder wilden Rettungsaktionen, die sich als meine klare Stärke im Golf herauskristallisiert haben. Der Umstand, der alles noch schlimmer gemacht hat: Die von mir angedachte Schwungkorrektur war die eigentliche Ursache des Problems. Ich hatte plötzlich eine volle Blockade.
Ausgerechnet da begann eine der wichtigsten Phasen der Saison: Zwei Majors, zwei co-sanctioned Events mit der LPGA Tour – beste Gelegenheiten, mich mit der Weltelite messen zu können. Daher bin ich nach meinem letzten regulären LET Event in Finnland nach Hause geflogen und direkt auf die Range.
Zehn, zwölf Trainingsstunden später an diesem Tag war noch nichts wirklich besser, was meine Selbstzweifel nur verstärkte. Und ich dachte: So kann ich nächste Woche doch nicht spielen.
Es stand die Evian Championship an, ein Major.
Natürlich sagten alle: „Du kannst doch kein Major auslassen.“ Aber ich dachte: „Mit einem gebrochenen Bein würde ich auch nicht spielen, nur weil es ein Major ist.“ Tatsächlich war irgendwas „gebrochen“. Aber noch war ich nicht mutig genug, die Notbremse zu ziehen.
In Evian musste ich die Proberunde mit einem gefundenen Ball fertig spielen, weil ich meine eigenen 13 Bälle verschossen hatte. 13 Bälle! Wenigstens hatte ich nun den Mut gefunden, das nächste Turnier abzusagen und damit eine Woche mehr Zeit zu haben, bevor es in Schottland weiterging.
Aber am Tag vor der Abreise zur Scottish Open, die unmittelbar vor der British Open stattfand, fragte mich ein Freund, der mit mir auf der Range trainierte: „Willst du wirklich spielen? Das sieht nicht gut aus.“ Ich sagte: „Nein, ich will nicht, aber ich kann doch nicht ewig warten, bis ich keine Angst mehr habe.“
Woher kam die Angst?
Leistungssportler zu sein ist der beste Beruf, den es gibt, wenn es gut läuft. Wenn nicht? Eher weniger. Ich will nicht klagen, sondern eher ein Bewusstsein schaffen. Besonders der eigene Erwartungsdruck kann sehr schlimm sein. Golf ist der größte Teil meiner Identität. Mit Abstand.
Da gibt es gerade auf einmal nichts anderes. Ich hatte mein Studium, dann mein Praktikum bei CureVac 2020. Nun bin ich so im Golf versunken, dass mich ein verlorener Ball umhauen kann. In Südafrika im Mai lag ich vor dem Sonntag zwei Schläge hinter der Führenden zurück.
Auf meinem vorletzten Loch am Samstag hatte ich einen Vier-Putt. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Es hat mich aufgefressen, weil Golf in diesem Moment gefühlt alles ist, was man hat. Hier muss ich daran arbeiten, die Scheuklappen abzulegen, weil mich Golf aktuell noch vollkommen vereinnahmt. Meinem Erwartungsdruck kann ich ja nie vollkommen entsprechen.
Ich habe für mich festgestellt, um ein Problem langfristig zu lösen, muss ich es als solches erst einmal identifizieren. Die Gefahr ist natürlich, dass es durch Beachtung dann zunächst größer wird, aber langfristig habe ich dann die Chance, es zu lösen, anstatt es zu ignorieren und zu hoffen, dass es einfach wie durch Zauberhand verschwindet.
Was passierte in Schottland vor der British Open?
Ich dachte auch noch direkt vor dem Major: „Da habe ich gar nichts verloren. Da sind die 143 besten Spielerinnen der Welt auf einem Platz, der als Monster bekannt ist.“ Die Proberunden waren fürchterlich.
Mein Bruder, der in dieser Woche an meiner Tasche war, sagte: „Der Platz ist zu gnadenlos, um ihn mit Angst zu spielen, du musst diese Woche voll attackieren und was rauskommt, kommt raus, aber wenigstens weißt du danach… du hast alles versucht…“ Dann habe ich einen Schlag gefunden, der relativ konstant abrufbar war. Ein flacher Hook. Mit dem ging es ins Turnier.
Für Amateure ist das schwer vorstellbar, wie man mit einem flachen Hook ein Monster bezwingt.
Aber es ging. Linkskurse erlauben ja relativ weite Flugkurven, weil es keine Bäume gibt. Also habe ich immer so weit rechts wie möglich gezielt und dann weite Kurven geschlagen.
Es war kein schönes Golf, aber ich hatte mich damit abgefunden. Der Platz verläuft im Uhrzeigersinn, also hatte ich rechts keine großen Gefahren, das hat mir geholfen. Und es hat funktioniert.
Wurde es während der Woche besser?
Auf der Range ja, da konnte ich den Ball irgendwann wieder etwas kontrollieren. Und am Sonntag waren dann durchaus brauchbare Schläge dabei, die auch auf anderen Kursen funktioniert hätten.
Das klingt nicht nach einem 7. Platz.
Ja, es klingt natürlich etwas vermessen. Aber es war tatsächlich so, dass hier sehr ergebnisorientiertes Golf und hier und da Glück entscheidend waren. Platz sieben war tatsächlich sehr überraschend.
Wie geht es Ihnen inzwischen?
Ich bin noch lange nicht durch das Tal. Inzwischen arbeite ich mit einem Sportpsychologen zusammen. Er soll mir helfen, dass ich in großen Drucksituationen noch performen kann.
Denn eigentlich ist es ja mein Ziel, und das Ziel eines jeden Leistungssportlers, durch gute Performances möglichst oft in diese Situationen zu kommen. Außerdem soll Golf mein Leben nicht voll in Anspruch nehmen. Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, was aber bedeutet, dass noch viel Potenzial in mir steckt. Ich bleibe dran.
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