Was steckt hinter der Aussage, „sein Bestes“ zu geben? Und was habe ich wirklich selbst in der Hand?
Freddy und Patrick Braun von www.belowpar.de
Dass mentale Stärke eine absolute Grundvoraussetzung für Bestleistungen innerhalb und außerhalb des Golfsports ist, ist Ihnen wahrscheinlich nicht neu. Mittlerweile vertraut selbst die deutsche Leichtathletiknationalmannschaft auf einen Mentaltrainer. Wir Golfer haben während des Wettbewerbs deutlich mehr Zeit für bewusste Gedanken, als ein Leichtathlet und sollten uns daher umso mehr mit unserem Supercomputer zwischen den Ohren befassen. Doch wie fängt man damit an?
Das ist eine gute Frage. Wenn wir nach einer Runde nach unserem Score gefragt werden, dann haben wir darauf schnell eine klare Antwort. Auch wenn unser Coach eine Trainerstunde mit den Worten „und wie läuft es? Ist der Slice noch da?“ beginnt, wissen wir diese relativ schnell einzuordnen.
Nicht nur das: Weil wir unseren Slice sehen können, ist unsere spielerische Leistung immer präsent und damit auch greifbar. Das trifft für unsere mentale Leistung nicht immer zu und ohne etwas mehr Einsatz bleibt das auch so. Doch dieser Einsatz lohnt sich, denn das Ziel eines soliden Mental-Trainingsprogramms ist der Abbau von Selbstzweifeln und der Aufbau von Selbstvertrauen.
Selbstzweifel abbauen
Wir dachten vor einigen Jahren, dass mentale Stärke eine Art Superkraft ist, durch die wir alle Hindernisse und Störfaktoren ausblenden und dann, wenn es darauf ankommt, glänzen, wie Kaymer an Loch 18 in Medinah. Diese Vorstellung hat nicht einmal im Ansatz etwas mit der Realität zu tun.
Martin Kaymer vor dem wichtigsten Putt seiner Karriere
Mentale Stärke zeichnet sich nicht durch die Abwesenheit von Hindernissen und Störfaktoren aus, sondern durch den erfolgreichen Umgang damit. Amateure, die Schwierigkeiten haben, ihre gute Leistung von der Range ins Turnier zu übertragen, sehen sich oft nur dort mit Hindernissen und Störfaktoren konfrontiert.
Wer allerdings eine Trainingsumgebung ohne eben diese Hindernisse und Störfaktoren kreiert, wird seine Leistung unter Druck nur mit viel, viel Glück abrufen können.
Auf den Ranges dieser Welt zählt ein einziger Ball mit dem Driver nicht viel. Der gleiche Ablauf in einem anderen Rahmen und ein einziger Ball mit dem Driver hat die Macht, die Runde in die eine oder in die andere Richtung zu lenken. Hand aufs Herz: Kommt Ihnen dieses Szenario bekannt vor?
Wenn Sie Ihre Trainingseinheiten in dieser Saison etwas lockerer angingen, nur um dem ersten Abschlag einer Turnierrunde zehn Mal so viel Macht und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, dann sind Sie nicht allein. Viele Amateure werden im Turnier von Hindernissen und Störfaktoren überrascht, weil sie diese aus dem Training nicht gewohnt sind. Wer jetzt noch eine Hand voll Zuschauer, fremde Mitspieler, Bunker und ein enges Fairway in das Szenario einfügt, hat den idealen Nährboden für Selbstzweifel.
In so einer Situation auf Referenzwerte zurückgreifen zu können, ist unheimlich wertvoll. Wer mit den Worten „hey, alles halb so wild, das habe ich vor einer Woche im Training auch geschafft“ auf eine Herausforderung reagieren kann, verkörpert Dr. Jim Afremows Definition von mentaler Stärke:
„Mentale Stärke ist die Fähigkeit, auch in den widrigsten Umständen, positiv und proaktiv bleiben zu können.“
Wir würden dieser Definition noch eine Kleinigkeit hinzufügen: „Mentale Stärke ist die Fähigkeit, auch in den widrigsten Umständen, positiv und proaktiv bleiben zu können… und jederzeit unser bestes zu geben.“
„Unser Bestes“ bezieht sich nicht auf den Score. „Unser Bestes“ besteht aus vier Dingen, die wir jederzeit selbst in der Hand haben:
- Körpersprache,
- Fokus
- innerer Dialog
- Stimmlage
Wir alle haben uns schon einmal nicht gut gefühlt und daher eine ganz gute Vorstellung davon, wie sich Körpersprache, Fokus, innerer Dialog und Stimmlage auszeichnen, wenn wir an uns und unseren Fähigkeiten zweifeln.
Wir alle wissen allerdings auch, wie wir uns fühlen, wenn wir voller Energie, Freude und Ehrgeiz sind und mit einer hohen Erwartungshaltung an eine Aufgabe herangehen. Der Trick an der Sache: Wiederholung. Hierzu ist die turnierfreie Zeit ideal. Arbeiten Sie im Alltag an Ihrer Körpersprache, vermeiden Sie Ablenkungen und achten Sie auf Ihre Stimmlage und Ihren inneren Dialog.
Selbstvertrauen aufbauen
Mental starke Spieler sind nicht deshalb mental stark, weil sie ihre Zähne zusammen beißen, „mehr denken“ oder ihre Augen anspannen, um Tigers Tunnelblick nachzuahmen. Mental starke Spieler sind mental stark, weil sie sich im Training auf die Herausforderungen, Hindernisse und Störfaktoren im Turnier samt Druck und Nervosität einstellen und den Umgang damit üben und, weil sie jederzeit ihr bestes geben — unabhängig von ihrem Score.
Spieler, die sich und ihren Fähigkeiten vertrauen, lassen sich ihre Körpersprache nicht von ihrem Score vorgeben. Anders als viele Amateure, laufen mental starke Spieler auch dann aufrecht über den Golfplatz, wenn die Runde nicht optimal verläuft. Dasselbe gilt für den inneren Dialog und die Stimmlage.
Wer den Kopf hängen lässt und sich selbst mit trauriger Stimme als Verlier bezeichnet, hat in einem Sport, bei dem so viele unkontrollierbare Variablen eine Rolle spielen, keine Chance auf langfristigen Erfolg.
Wer allerdings unerschüttert weitermacht, an sich glaubt und die „Auslöser des Leidens“, wie sie Motivations- und Businesscoach Anthony Robbins nennt, vermeidet, wird Saison für Saison besser. Die Auslöser des Leidens gehen mit Selbstzweifeln einher und lassen sich wie folgt auf den Golfsport übertragen:
Auslöser Nr. 1: „Verlust“
Dieser Auslöser ist gefährlich, denn Verluste sind subjektiv. Wer glaubt, er oder sie hätte durch eine unterdurchschnittliche Runde etwas verloren — etwa den Respekt eines Teamkollegen, einen Turniersieg oder die Chance auf ein besseres Handicap — steht seinem Fortschritt extrem im Weg.
Wir haben nicht vor, morgen mit dem Golfen aufzuhören und deshalb noch viele Runden vor uns. Wenn wir möchten, dass diese Runden erfolgreich verlaufen, dann sollten wir von vergangenen Runden lernen und nach den Chancen, nicht nach den (möglichen) Verlusten Ausschau halten. Wir können Ihnen nur raten, dasselbe zu tun!
Auslöser Nr. 2: „Niemals“
Mit diesem Auslöser sind wir fast alle vertraut. Wenn Sie nach einem vorbeigeschobenen Putt an Loch 2 schon einmal davon überzeugt waren, dass Ihr Putten heute nichts ist und auch auf den restlichen 16 Löchern nichts sein wird, dann wissen Sie, von was wir sprechen. Dieses Annahme ist natürlich weder wahr, noch hilfreich, denn können wir nicht in die Zukunft schauen und fokussieren wir uns damit auf die (mögliche) negative Konsequenz eines Schlages, anstatt aus der Situation zu lernen und damit die Chance, beim nächsten Mal besser zu sein, eliminieren.
Das ist wichtig:
Ob unser Ball mit vielen oder wenigen Schlägen ins Loch fällt, ist recht offensichtlich. Ob wir unser mentales Potential abrufen, ist dagegen deutlich weniger offensichtlich. Das sollte uns allerdings nicht davon abhalten, uns mit dem Thema zu beschäftigen und noch besser: Aktiv daran zu arbeiten.
Stecken Sie sich ein Blatt Papier mit unserer Definition von mentaler Stärke ins Golfbag. So haben Sie einen Anker, der Sie jederzeit daran erinnert, dass Körpersprache, Fokus, innerer Dialog und Stimmlage Ihr Handicap in ungeahnte Tiefen befördern können. Verpflichten Sie sich dazu, Ihr Bestes zu geben!
INFO www.belowpar.de
Freddy und Patrick Braun sind Brüder, Plus- und Singlehandicapper (+1,4 & 3,6), Bundesliga-Spieler und die Köpfe hinter der Golftrainings-Website BelowPar.de. Freddy spielte vier Jahre lang College Golf in den USA, wo er mit der Wilmington University bei den nationalen Meisterschaften 2016 unter die Top 8 Teams des Landes kam. Während seiner Zeit in den USA lernte er unter anderem von PGA-Tour-Trainern und gewann mehrere Turniere mit dem Team.
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