Bevor Bubba Watson zweifacher Masters-Sieger werden konnte, musste er wenigstens einmal in seinem Leben mit seinem großen Idol spielen.
Das Zeitmaschinen-Navigationsgerät sollte mich eigentlich ins Jahr 1980 bringen, wo ich die Bauarbeiten am berühmten 17. Loch des TPC Sawgrass erleben wollte. Gelandet bin ich dann jedoch am späten Abend des 8. Mai 2011 in Jacksonville, Florida, direkt vor einer winzigen Kapelle, auf der von unzähligen Lampen und Leuchtschildern hellilluminierten und dichtbevölkerten Uferpromenade der Stadt. Im Schatten zwischen zwei Souvenirläden, die mit wahnwitziger Leuchtreklamenstrahlkraft versuchen, die vorbeiziehenden
Flaniermeilengänger ins Licht zu locken,
kauert ein unscheinbares Gotteshaus, das mich wie ein Magnet anzuziehen scheint.
Als ich die Eingangspforte hinter mir schließe und durch einen dicken, roten Vorhang ins Innere trete, weicht die Kakophonie aus zahllosen Gesprächsfetzen, diffusem Lärm und plärrender Musik einer feierlichen Stille. In dem Raum, der nur von spärlichem Kerzenlicht erhellt wird, betet ein einzelner Mann in der Bankreihe direkt vor einem schmucklosen Steinaltar mit einem schlichten Holzkreuz. Das flackernde Zwielicht lässt Schatten über die Gestalt tanzen, als diese sich niederkniet. Die Minute, die sie so verharrt, scheint eine Ewigkeit anzudauern. Ich schiebe mich auf die Bank dahinter. Obwohl ich keine Ahnung habe, was ich ausgerechnet an diesem Ort und zu dieser Zeit verloren habe, bin ich nicht im Mindesten überrascht, als sich der Mann aufsetzt und zu mir umdreht. Seine Wangen sind nass von Tränen. In den Händen wiegt er das Bild eines Toten. Ich erkenne sowohl das Gesicht auf der Abbildung als auch den Besitzer der Fotografie. Jetzt weiß ich, warum mich das Schicksal an eben diesen Ort geführt hat.
Der spindeldürre Junge steigt vom Fahrrad ab und lehnt es an eine Steinmauer, direkt unter dem Marmorschild mit der Aufschrift: „Real Golf de Pedreña“.
„In zwei Wochen ist sein 16. Geburtstag“, erkläre ich meinem Begleiter. „Seine Eltern
haben ihm erlaubt, dann Golfprofi zu werden.“
Wir tragen unauffällige Sommerkleidung, die hellbraune Golftasche aus Stoff und Leder haben wir in einem Sportladen in Bilbao erstanden. Darin befinden sich 14 Schläger aus dem Jahr 1974.
„Komm“, fordere ich ihn auf, „ich habe mit Manuel vereinbart, dass ihr jetzt eine Runde spielt. Du bist ein Tourist aus den USA und zudem sehr reich. Wenn er gewinnt, zahlst
du Seve 10.000 Peseten. Das sind etwa 1.000 Dollar. Wenn er verliert, stecke ich Manuel das Geld zu, bevor wir gehen. Ach ja, Seve spricht noch kein Wort Englisch.“
„Ich kann ein paar Brocken Spanisch…“, setzt Bubba Watson an, den ich sogar
soweit gebracht habe, dass er an seinem
kakifarbenen Freizeithemd den obersten Knopf geöffnet lässt.
„Die behältst du schön bei dir!“, schärfe ich ihm mit ernstem Blick ein. „Du redest nur mit mir! Ich spreche mit Manuel! Er redet mit Seve! Aber eigentlich sollten wir so wenig wie möglich sprechen.“
Auf der Terrasse vor dem prachtvollen Clubhaus sitzen Severiano und sein älterer Bruder Manuel Ballesteros und beobachten das maritime Treiben auf dem Kanal zwischen der Atlantikküste und dem Fluss Miera. Als Manuel mich entdeckt, winkt er mir zu.
„Und das ist Señor Watson“, erklärt Manuel seinem Bruder mit den markanten Augenbrauen kurze Zeit später auf Spanisch. Den
Rest seiner Ausführungen decken meine
beiden Jahre Sprachkurs nicht ab.
Das Match beginnt auf einem Par 4, das den Namen „Castañeda“ trägt. Seve lässt
Bubba den Vortritt, der ein Holz 1 benutzt, das diesen Namen auch wirklich verdient. Mit einem mächtigen Hook verzieht der Linkshänder den Ball über die Baumreihen, die das Fairway säumen. Als das Spielgerät zwischen den Ästen verschwindet, blicke ich zu Bubba, der sich erstaunlicherweise über seinen Fehlschlag zu freuen scheint.
Seve nimmt ein kleines Holz in die Hand und sein jugendlicher Schwung sieht aus wie reine Poesie. Sein Ball entwickelt im Flug
jedoch einen deutlichen Linksdrall und bleibt etwa zehn Meter vom Fairwayrand entfernt zwischen zwei Büschen liegen. Das Strahlen in Bubbas Augen gewinnt weiter an Intensität. Als wir am Landepunkt angekommen sind, blockiert ein mannshohes Gewächs Seves Schwungebene. Ratlos blickt Manuel, selbst angehender Golflehrer, zu seinem jüngeren Bruder.
„Ich wette, gleich geht er in die Knie“, flüstert mir Bubba zu. Und wirklich, Seve kniet sich hin und versucht, den Ball mit seinem kleinen Holz unter den Büschen hindurchzubefördern. Nach zwei Probeschwüngen gelingt ihm ein sauberer Kontakt. Die Kugel schießt ungehindert unter den Sträuchern
hinüber zum Fairway und bleibt etwa 150 Meter entfernt im Vorgrün liegen. Bubba klatscht verzückt Beifall und ruft auf Englisch: „Ein echter Klassiker! Bravo, Seve!“
Etwas schüchtern lächelnd nickt der junge Spanier dem Amerikaner zu.
„Mal sehen, was wir hier haben“, meint Bubba, als wir sein Spielgerät inmitten der Bäume rechts der ersten Bahn finden. Seve und Manuel begutachten die scheinbar ausweglose Lage, in der sich Bubbas Ball befindet. Nur durch eine schmale Gasse zwischen den eng stehenden Bäumen kann man das Grün
in einer Distanz von etwas mehr als 100 Metern erahnen. Bubba nimmt Maß und zieht mit dem Sand-Wedge voll durch. Der Ball zischt wie an der Schnur gezogen durch die enge Schneise, bleibt jedoch noch im Steigflug
begriffen an einem Baum hängen.
Bubba legt einen weiteren Ball an die
gleiche Stelle. „Sag ihm, ich zahle ihm 100 Dollar, wenn er den bis auf das Grün be
fördern kann.“
Ich erkläre den Ballesteros-Brüdern Bubbas Angebot. Seve zuckt mit den Achseln und greift wieder zu seinem kleinen Holz. Mit einem elegant ausgeführten Punch drischt er den Ball flach nach vorne. Dieser beginnt nach der halben Distanz leicht anzusteigen und donnert schließlich geräuschvoll durch die Äste der letzten Baumreihe. Derart abgebremst, prallt das Spielgerät über die gras-bewachsenen Erhebungen rund um das Grün hindurch und passiert auch noch die beiden Sandbunker. Nur drei Meter neben der Fahne kommt der Ball zum Stillstand.
„Madre de dios!“, entfährt es Manuel,
Watson ist sichtlich begeistert. Bubba schenkt Seve den Punkt am erste Loch.
Die zweite Spielbahn heißt „La Rivera“ und ist ein mittellanges Par 3 ohne allzu-
viele Möglichkeiten, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Lustlos spielen die beiden das Grün mittig an und benötigen jeweils zwei Putts, um ins Loch zu kommen.
Die dritte Bahn „Colchón“ hingegen ist ein kurzes, aber sehr enges Par 4. Seve verzieht in den Fairwaybunker rechts, Bubba drischt seinen Ball links über die
Bäume in Richtung der dahinter verlaufenden 17, genannt „Las Cuevas“, wo er im Rough zwischen Wald und Fairway liegen bleibt.
Erneut bietet Watson dem jungen Spanier 100 Dollar, sollte er Bubbas Ball bis auf das Grün befördern können. Seve greift zu seinem Eisen 9 und lässt die Kugel fast parallel zur Baumreihe starten. Als dieser die Höhe der Baumwipfel erklommen hat, zieht der Ball plötzlich wie von Geisterhand gezogen nach rechts und beschreibt schließlich eine komplette 90-Grad-Kurve. Bubba klatscht verzückt Beifall und sprintet an der Seite von Manuel durch die Bäume zum Grün.
Begeistert klatscht er mit Manuel ab und steckt ihm einen Geldschein zu.
Bubba schlägt vor, das Matchplay zu vergessen und lässt mich schon jetzt die vereinbarte Gewinnsumme an Manuel auszahlen. Ganz in der Rolle des spleenigen Millionärs aus Amerika aufgehend, heckt er fortan mit Seve immer verrücktere Lagen aus, die es für diesen zu meistern gilt.
„220 Meter aus dem Bunker auf das Grün, und der Ball liegt deutlich unterhalb der Bunkerkante“, sprudelt es aus dem völlig überdreht wirkenden Bubba heraus. „Damit hat … wird er 1983 gegen Fuzzy Zoeller im Ryder Cup den Punkt gewinnen. Unfassbar, dass er den schon drauf hat.“
Bubba und Seve umkurven Toilettenhäuschen, befördern Lobshots mit dem Rücken zum Grün direkt an die Fahne oder üben sich im einbeinigen Grünbunkerspiel. Die Aufgabenstellungen werden immer absurder, doch Seve fällt selbst aus der scheinbar ausweglosesten Lage immer noch ein Schlag ein, der ihn zurück ins Spiel bringt.
Schließlich kommen wir in Sichtweite des Parkplatzes. Obwohl wir von einem Taxi zum Golfclub gefahren wurden, schreitet Bubba suchend zwischen den Autos herum. Neben einem grünen Seat 133 und einem roten Barreiros Simca schließlich bleibt er stehen und legt einen Ball auf einen schmalen Grünstreifen direkt zwischen den beiden Fahr-
zeugen. Hinter einer Hecke befindet sich das 18. Grün, doch um dieses zu erreichen,
müssen erst vier Reihen teuer aussehender Automobile überwunden werden, wobei das erste Modell, ein Mercedes der S-Klasse, nur etwa fünf Meter vom Ball entfernt parkt.
„Ay, Hombre“, nimmt mich Manuel zur
Seite. „Das ist ein Privatclub. Seve und ich sind hier nur geduldet. Wenn wir ein Auto demolieren, fliegen wir alle hochkant raus.“
Ich erkläre Bubba die Lage, der grinsend ein weiteres Bündel Geldscheine zutage fördert.
„Sag ihm, ich zahle 500 Dollar für den Grüntreffer, und sollte das Auto beschädigt werden, behaupte ich, dass ich es gewesen bin.“
„Kein Schaden“, ruft Seve uns in gebrochenem Englisch zu und holt aus, bevor Manuel einen Einwand erheben kann. Der Ball fliegt haarscharf über die Autodächer hinweg und verschwindet hinter der Hecke.
Bubba steht an dem Magnolienbaum, den Seve auf seinem Anwesen in Pedreña selbst gepflanzt hat. Nur eine Steintafel mit der berühmtgewordenen Jubelpose von der Open Championship 1984 markiert die Stelle, an der sein Sohn Javier vor einer Woche die Asche seines Vaters verteilt hat. In einiger Entfernung ist Kirchengeläut zu hören. Die Glocken von Pedreña haben auch für jeden einzelnen von Seves 91 Turniersiegen geläutet. Und auch während seiner Trauerfeier.
Bubba wirft noch einen letzten Blick auf die Ruhestätte seines großen Idols. „Danke“, sagt er leise.
Ich nicke ihm wortlos zu und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter.
Von Götz Schmiedehausen
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