Deutschlands Majorsiegerin exklusiv befragt
Interview Sophia Popov – neue Deutsche Welle
Interview Sophia Popov. Nach dem historischen ersten deutschen Damen-Major-Sieg von Sophia Popov bei der AIG Women’s Open ließ der deutsche Golf-Amateur-Nachwuchs einen wahrhaft goldenen Herbst folgen. Das Interview mit Sophia Popov führte Markus Scheck im Oktober 2020.
Wenn man ehrlich ist, sah es bis vor Kurzem mit dem deutschen Spitzengolf noch wenig prickelnd aus. Der zweifache Major-Champion Martin Kaymer befindet sich in einer latenten Formkrise (sein letzter Sieg datiert aus dem Jahr 2014).
Altmeister Bernhard Langer bekommt bei den Senioren mit seinen 63 Jahren immer mehr Konkurrenz von den „jungen Hüpfern“ (Phil Mickelson gewann dieses Jahr etwa auf Anhieb seine beiden ersten Turniere auf der PGA Tour Champions).
Und auf den höchsten Damen- und Herrentouren herrscht relativ viel Mittelmaß in Schwarz-Rot-Gold. Das an guten Tagen zwar vorne mitspielen kann, aber so richtig durchschlagenden Erfolg noch nicht verzeichnen konnte.
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Eine wohltuende Ausnahme bildete Esther Henseleit, die vor genau einem Jahr als LET Rookie mit dem Sieg beim Finalturnier, der Magical Kenya Ladies Open, die Jahreswertung 2019 für sich entschied. Und sich im ersten Jahr ihrer Profikarriere als Draufgabe auch noch die Karte für die LPGA Tour sichern konnte.
In diesem verrückten Jahr 2020, wo zwischen Februar und August keine Turniere auf LPGA und LET stattfanden, musste die 21-jährige Varelerin aber erst einmal viel Lehrgeld zahlen. Und sich langsam wieder an die Vorjahresform herantasten.
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POPOVS LEIDENSWEG
Dafür sprang 2020 mit Popov eine Landsfrau in die Bresche, die Anfang der Saison eigentlich niemand auf dem Zettel hatte. Und die vom 20. bis 23. August deutsche Sportgeschichte schreiben sollte. Mit 27 Jahren gehört die Deutsch-Amerikanerin, die nur unweit der US-Metropole Boston geboren wurde und im badischen Weingarten aufwuchs, längst nicht mehr zu den jungen Wilden.
Allzu viel musste die Europameisterin aus dem Jahr 2010 seit ihrem Wechsel ins Profilager 2014 dann auch erdulden. Vor allem gesundheitlicher Natur. Sie kämpfte jahrelang mit einer mysteriösen Krankheit, verlor mehrere Kilogramm an Gewicht. Und fragte rund 20 verschiedene Ärzte um Rat.
Am Ende eines dreijährigen Leidenswegs die Diagnose: Lyme-Borreliose. Zwar spüre sie heute immer noch gelegentlich Symptome, im Großen und Ganzen habe sie die Krankheit aber gut im Griff.
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Dazu gesellten sich sportliche Rückschläge. Sophia verlor ihre Spielberechtigung für die LPGA Tour und verpasste die erneute Qualifikation Ende 2019 hauchdünn nur um einen einzigen Schlag.
Als dieses Jahr im Frühjahr dann auch noch der Corona-Lockdown das Tourgeschehen zum Erliegen brachte, wechselte Popov auf die Cactus Tour. Eine Mini-Tour mit Sitz in Arizona, wo anders als auf LPGA oder Symetra Tour Turniergolf gespielt wurde.
Die in den USA lebende Deutsche nutzte die Gelegenheit, gewann prompt drei Turniere und holte sich wichtiges Selbstvertrauen für die anstehenden Aufgaben.
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SOPHIAS SOMMERMÄRCHEN
Als die LPGA Tour im August wieder ihren Spielbetrieb aufnahm, half Sophia Popov zunächst ihrer besten Freundin, der Niederländerin Annie van Dam, als Caddie.
In der Woche darauf durfte sie bei der Marathon Classic dann aufgrund zahlreicher Corona-Absagen selbst ran und schaffte den geteilten neunten Platz.
Viel wichtiger: Damit qualifizierte sie sich für die AIG Women’s Open, die zwei Wochen später im schottischen Royal Troon über die Bühne ging.
Statt wie die meisten Proetten nach der Marathon Classic in Detroit den Flieger nach Schottland zu boarden (dort stand noch die Scottish Ladies Open als Vorbereitungsevent an), entschied sich Sophia, in Arizona das Founders Tribute im Rahmen der Symetra Tour zu spielen. Sie unterstrich auch dort ihre Topform und wurde Zweite.
Mit jeder Menge Selbstvertrauen im Gepäck, jedoch ob der langen Anreise nur mit einer absolvierten Proberunde, ging sie, als Nummer 306 in der Damenweltrangliste geführt, in das traditionsreiche Major-Turnier auf schottischem Boden.
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DEUTSCHE SPORTGESCHICHTE GESCHRIEBEN
Der Rest ist deutsche Sportgeschichte: Mit Runden von 70, 72, 67 und 68 Schlägen und dem Gesamtscore von 7 unter Par holte sich die Außenseiterin mit zwei Schlägen Vorsprung auf die Thailänderin Thidapa Suwannapura sensationell den Women’s Open-Titel. Und war damit auch die erste weibliche deutsche Golfspielerin in der Geschichte, die einen Major-Sieg errang.
Popov durfte sich über einen Siegerscheck in Höhe von 675.000 Dollar freuen. Mehr als das Sechsfache von dem, was sie zuvor in ihrer gesamten Karriere gewonnen hatte.
„Ich hätte letztes Jahr fast aufgehört zu spielen. Gott sei Dank habe ich es nicht getan. Es fühlt sich unglaublich an“, sagte Popov im Anschluss an den Triumph freudestrahlend. Wertvolle Unterstützung erhielt sie dabei von ihrem Freund Maximilian Mehles. Selbst ein absoluter Spitzengolfer, der in Royal Troon als Caddie den Sieg begleitete und hautnah miterlebte.
„Er hat mich die ganze Zeit über beruhigt“, lachte die frisch gebackene Women’s Open-Titelträgerin über die Taktiken ihres Freundes. Der sie während der Runde daran erinnerte, zu essen und zu trinken. Und der die Spannung zu lösen versuchte, indem er ihre Aufmerksamkeit auf Vögel und Segelboote lenkte, die er in der Umgebung entdeckte.
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ZWEI JAHRE STATT FÜNF
Für Sophia Popov ging in Schottland mit einem Schlag ein Kindheitstraum in Erfüllung, der ihr Leben nun als Majorsiegerin komplett auf den Kopf stellt. „Es ist wirklich eine unglaubliche Geschichte“, sagte Popov nach ihrem Sieg bei der AIG Women’s Open mit tränenerstickter Stimme. „Ich denke, deshalb sind am 18. Loch auch die Emotionen mit mir durchgegangen. Einfach weil es etwas ist, wovon ich vor einer Woche nicht einmal geträumt habe.“
Die 27-jährige Deutsche hat nun eine zweijährige Spielberechtigung auf der LPGA Tour. Normalerweise wären es fünf Jahre. Da sie aber aufgrund der um einen Schlag verpassten Qualifikation vor Saisonbeginn als „Non-Member“ geführt wurde, sind es eben nur zwei Jahre. Eine Regelung, die sowohl bei Popov als auch bei ihren Mitstreiterinnen auf Unverständnis stieß. Existiert diese Regelung nämlich einzig auf der Damentour.
Auch wenn diese Information zwei Tage später den Sieg ein wenig trübte, überwiegt bei Sophia natürlich dennoch die Freude über die famose Leistung. Und den historischen Triumph, den sie in unserem GOLF TIME Exklusivinterview noch einmal Revue passieren lässt.
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INTERVIEW SOPHIA POPOV
Sophia, es sind ja jetzt schon ein paar Wochen seit deinem großartigen Triumph bei der AIG Women’s Open vergangen. Hast du schon realisiert, was du da erreicht hast? Oder musst du dich manchmal in der Früh noch kneifen, ob das auch wirklich passiert ist?
Sophia Popov: Ja, ich denke realisiert habe ich es schon. Alleine schon durch die Medienaufmerksamkeit und wie sich die Turniere geändert haben. Aber ich gehe schon immer wieder mal zurück zu dem Moment, als es passierte, und schaue mir die Bilder davon an.
Es ist schon verrückt, wie sich in den letzten Wochen durch einen Turniersieg mein Leben verändert hat. Ich habe natürlich auch die Trophäe zu Hause und habe die Bilder im Kopf von anderen Spielerinnen, die diese gehalten haben. Da muss man sich hin und wieder schon noch kneifen, ja.
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Was hat sich im Detail verändert und wie nimmst du diese Veränderungen wahr?
Sophia Popov: Die größte Veränderung ist wohl bei den Turnieren selber, dass ich mehr gezeigt werde und auch zu Pressekonferenzen geladen werde. Früher hat mich keiner groß beachtet und ich konnte mir aussuchen, wann ich meine Trainingsrunden spiele.
Jetzt muss ich doch um einiges mehr an Terminen absolvieren, es gibt Anfragen von Sponsoren und Medien, was insgesamt eine bessere Zeitplanung bedingt, um alles unter einen Hut zu bringen. Das ist einerseits natürlich eine schöne Sache, andererseits deutlich stressiger.
Aber davon träumt man ja auch, insbesondere, wenn man nicht so gut spielt, dass es einmal so sein wird.
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Wirst du von deinen Spielerkolleginnen nun anders wahrgenommen?
Sophia Popov: Ja, ich denke auf jeden Fall. Es gab viele Spielerinnen, mit denen ich gut befreundet war. Aber durch das Herumspringen von einer zur anderen Tour konnte ich nie genügend Zeit mit ihnen verbringen, das ist jetzt einfacher. Aber auch das Ansehen hat sich schon geändert. Ich trage mich in den Teetime-Listen für die Proberunde immer mit den Spielerinnen ein, die ich von früher gut kenne. Wie Jessica und Nelly Korda oder Lizette Salas, mit der ich gemeinsam am College gespielt habe.
Die sehen mich jetzt als gleichwertig an und fragen mich immer öfter um Rat. Das ist schon ganz cool. Von der Spielstärke gab es meinem Empfinden nach ohnehin keinen großen Unterschied. Aber das wird von denen halt erst wahrgenommen, wenn man selber Mal ein Turnier gewonnen hat.
Ich habe jetzt sicher einen anderen Auftritt und bin auch um einiges selbstbewusster. Weil ich weiß, dass ich alle Spielerinnen in der Woche in Schottland schon geschlagen habe.
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Deine Form war ja das ganze Jahr schon stark aufsteigend. Hast du vor der Saison etwas Spezielles verändert?
Sophia Popov: Ich hatte letztes Jahr begonnen, mit einem neuen Trainer zu arbeiten. Das zweite Halbjahr lief eigentlich schon sehr gut. Ich hatte das Gefühl, vom Golferischen fehlt es an nichts, einzig auf mentaler Seite gab es Verbesserungsbedarf. Vor allem mich nicht runterziehen lassen, wenn es mal nicht so läuft. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich besser spiele, als ich score, und das mündete schnell in einem negativen Mindset.
Als Corona passierte, gab es mir die Möglichkeit, dann zwei Monate genau daran zu arbeiten. Ich habe viele Bücher gelesen und Podcasts angehört, um mental stärker zu werden und das Selbstbewusstsein zurückzugewinnen, das mir in den letzten Jahren verloren ging.
Ich habe dann die Cactus Tour-Events gespielt und gedacht, das ist die perfekte Gelegenheit, diesen neuen Mindset auszuprobieren, denn es ist eigentlich völlig egal, wie ich diese Turniere beende.
Das hat mir extrem geholfen, denn ich habe eben diese drei Turniere gewonnen und dachte, wenn ich wieder auf der Symetra und LPGA Tour spiele, dann ist es ja quasi nichts anderes.
Natürlich sind die Teilnehmerfelder dort stärker, aber ich wusste, dass es vom Mentalen genau gleich sein müsste.
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Der einzige negative Aspekt deines Sieges, wenn man so will, war, dass du nicht die vollen fünf Jahre Spielberechtigung, sondern nur zwei erhalten hast. Gab es in der Zwischenzeit noch Gespräche mit den LPGA-Verantwortlichen, oder hast du die Sache ad acta gelegt?
Sophia Popov: Als ich die Nachricht bekam, war es zwei Tage nach dem Sieg. Ich war gerade in Deutschland und habe mit Freunden den Sieg gefeiert. Und dann hat mich mein Management angerufen und mir das mitgeteilt. Ich habe es halt nicht direkt von der Tour erfahren und es hat mir in dem Moment einen Dämpfer versetzt.
Ich fand es ein wenig unfair, da es mir beim Turnier anders vermittelt worden war als zwei Tage danach. Von den letzten fünf Jahren habe ich vier auf der LPGA Tour verbracht und ich denke, dass diese „Non Member-Rule“ nicht für jemanden wie mich gedacht war.
Aber gut, wir sind jetzt mitten in der Saison und ich möchte mich für die CME-Finals qualifizieren. Und mir bringt es im Moment nichts, das anzufechten oder mich darüber aufzuregen.
Der LPGA-Commissioner Mike Whan hat mir gesagt, mitten in der Saison wird sich jetzt ohnehin nichts tun. Aber wir werden danach noch einmal diskutieren. Und wenn sich schon für mich nichts ändert, dass zumindest für die Spielerinnen nach mir diese Regel geändert wird. Gewinnt bei den Herren jemand von der Korn Ferry Tour ein Turnier, erhält er die normale Spielberechtigung.
Dieser Unterschied zwischen Mädels und Jungs, das ist etwas, das mich nervt. Ich habe jetzt die zwei Jahre plus fünf Jahre Major-Exemption. Ich spiele gutes Golf und traue mir zu, meinen Status auch für die fünf Jahre zu halten. Wenn ich in zwei Jahren so schlecht spiele, dass ich meine Karte nicht halte, dann ist das auch ein Problem.
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Fandest du es schade, dass bei deinem großen Sieg keine Fans vor Ort sein durften?
Sophia Popov: Natürlich wäre es schön gewesen, wenn mehr Fans vor Ort gewesen wären, vor allem, wenn man die 18 hinuntergeht und die Leute einem zujubeln. Andererseits hatte es auch ein wenig etwas Melancholisches an sich. Natürlich waren die Kamerateams da, aber es war relativ ruhig und man konnte es so richtig genießen.
Aber natürlich hoffe ich, dass es die letzte Saison ist, die wir ohne Zuschauer spielen müssen.
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Wie empfindest du generell das Leben in der Corona-Bubble mit all den Sicherheitsbestimmungen?
Sophia Popov: Es ist schon schwierig. Es gibt in der Zwischenzeit immer mehr Dinge, die einen ein wenig nerven und wo man sich fragt: Muss das jetzt wirklich sein?
Ich bin ein junger, fitter Mensch und habe jetzt nicht die große Sorge, dass mir das Virus etwas antut. Man hat eher den Stress im Hinterkopf, wenn ich hier jetzt positiv getestet werde, muss ich die nächsten zwei Wochen in Quarantäne. Was manchen Spielerinnen schon passiert ist, die zwei Wochen lang nicht aus ihrem Hotelzimmer durften.
Natürlich müssen die Bestimmungen so sein, wie sie sind, damit wir überhaupt spielen können. Und ich bin ehrlich gesagt einfach nur froh, dass wir spielen können. Aber ich denke, wir freuen uns alle wieder auf Zeiten, wo wir auch als Spieler wieder mehr miteinander unternehmen können.
Ich bin mit meiner besten Freundin Annie van Dam unterwegs und wir nehmen in Kauf, dass, wenn einer positiv getestet wird, der andere dann eben auch nicht spielen kann. Aber das haben wir von Anfang an so beschlossen.
Mit meinem Freund Max, der mir Caddie macht, ist es natürlich genauso. Aber wir vermissen schon sehr das Zwischenmenschliche, dass man die andere Spielerin auch in den Arm nehmen kann.
Man kennt sich seit zehn Jahren, ist gut befreundet und muss sich dann immer diese Fist Pumps geben. So ein Moment des Sieges ist etwas dermaßen Besonderes für einen, und die anderen wissen es auch. Und das ist, was mich an der gesamten Situation am meisten traurig macht. Ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert.
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Abschließend ein Blick voraus: Was sind deine nächsten Ziele?
Sophia Popov: Diese Saison versuche ich mich noch für die CME-Finals zu qualifizieren.
Für nächstes Jahr sind das Olympia und der Solheim Cup, die mir beide sehr am Herzen liegen und die ich wahnsinnig gerne spielen würde. Das steht momentan ganz klar im Vordergrund für mich.
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